Ein langjähriges C12-Mitglied hat uns seine Gedanken zum Derby in Textform zukommen lassen. Diesen sehr nachdenkenswerten Text möchten wir euch nicht vorenthalten:
Gedanken zum „kleinen Derby“
(von einem langjährigen Club Nr.12-Mitglied)
11 Jahre sind seit dem letzten „großen Derby“ in der Bundesliga vergangen. Zehn Jahre lang hatte man sich zuvor zweimal pro Jahr im Olympiastadion getroffen. Für beide Fanlager waren dies keine Spiele, auf die man sich uneingeschränkt gefreut hätte: als Bayernfan schleppte man die zum Glück fast immer unbegründete Sorge vor einer genauso unerwarteten wie höchst blamablen Niederlage gegen den blauen Underdog mit in den Olympiapark, als Fan des Turnverein konnte man sich schon mal geistig auf eine routinemäßige Niederlage einstellen.
Die Münchner Derbys waren aber auch der Aufbruch in eine neue Ära der deutschen Fankultur. Allerlei Ideen und Materialien schwappten von Italien über die Alpen und auch in München begann das Zeitalter von großen Choreografien und Pyrotechnik. Es ist nicht übertrieben, wenn man die Derbychoreografien im Olympiastadion als wegweisend für die deutsche Fankultur beschreibt. Die Bayernfans waren in dieser Disziplin damals fast allen Fanszenen in Deutschland um Jahre voraus. Möglich wurde dies auch durch die Freiheiten, die man damals genießen konnte. Unvorstellbar kommt es einem heute vor, dass man um die Jahrtausendwende ohne Vorankündigung einfach mit einem Transporter am Derbymorgen durchs Marathontor über die Tartanbahn vor die Südkurve fuhr, um dann in aller Ruhe mit den Vorbereitungen zu beginnen, während dies in der Nordkurve genauso von Statten ging. Die Kurvenchoreografie war zu diesen Zeit von zentraler Bedeutung, abgesehen vom Spielausgang gab es kein Thema von vergleichbarer Bedeutung.
In den letzten Jahren zeigt sich in Deutschland allerdings ein gegenläufiger Trend. Große und oft noch spektakulärere Choreografien kann man inzwischen bei fast allen Bundesligisten bewundern. Aber immer seltener zu den Derbys. Dort werden die Bilder der Kurven geprägt von Pyroshows der Auswärtsfans und vermummten Ultras, die an Wäscheleinen befestigte Fanartikel der gegnerischen Fanszene präsentieren, die man zuvor zumeist in großer Überzahl irgendwelchen Fans abgenommen hat, die zur falschen Zeit am falschen Ort waren.
Vor den Stadien kann man bei Derbys heute gigantische Polizeiaufkommen beobachten, die mit behelmten Einsatzhundertschaften Fanmärsche im schwarzen Fan-Einheitslook zum Stadion begleiten. Eine Zunahme der Gewalt kann kaum ein langjähriger Stadionbesucher beobachten, explodiert ist allerdings die zur Schau gestellte Gefährlichkeit, was von Seiten der Polizei und Teilen der Politik nur zu gerne aufgegriffen wird, um die Freiheiten der Fans immer weiter einzuschränken - gerade bei den „Hochrisikospielen“, zu denen die meisten Derbys gezählt werden.
Völkermord am Viktualienmarkt
Auch das „kleine Münchner Derby“ kann gut als Anschauungsbeispiel für vieles verwendet werden, was in Deutschland im Bereich Fans in den letzten Jahren in eine bedenkliche Richtung kippt. Beginnen wir mit dem Amateurederby im letzten August: Die damals gut gemeinte Idee der Bayernfans, sich am Viktualienmarkt zu treffen, statt sich mit dem blauen Anhang auf Giesings Höhen um einen Parkplatz oder ein Schnellrestaurant zu streiten, stieß bei den vorab nicht informierten Marktfrauen aus zum Teil nachvollziehbaren Gründen nicht auf Begeisterung. Was ein paar Feuerwerkskörper und einige überdrehte Interviews der Standlsprecherin allerdings auslösen konnten, hätte niemand für möglich gehalten. Festzuhalten ist: selbst die Polizei hat inzwischen schriftlich kommuniziert, dass es am Viktualienmarkt zu keinerlei Gewalttaten gekommen ist. Weder Polizei noch der Verwaltung des Viktualienmarkts liegt bis heute auch nur eine Schadensmeldung der Standbetreiber vor. Das hat allerdings die zwei SPD-Stadträte Reissl und Boesser nicht davon abgehalten, die „Vorfälle“ zum Anlass zu nehmen, ein großes Maßnahmenpaket gegen die „marodierenden Fußballfans“ in Auftrag zu geben.
Bis heute haben die beiden Stadträte keine Zeit gefunden, um sich mal mit Fanvertretern oder dem von der Stadt mitfinanzierten und vor Ort anwesenden Münchner Fanprojekt über die Vorkommnisse am Viktualienmarkt auszutauschen. Dafür begründen sie allerdings allen Ernstes ihren Antrag im Stadtrat mit dem Verweis auf Berichte in der Boulevardpresse. Die Verabschiedung des Maßnahmenpakets wurde von der Presse dann gerne aufgenommen, um das Thema erneut hoch zu kochen. In der Abendzeitung kann man plötzlich von „Maßkrüge werfenden“ Fans lesen, in der TZ sind die Feuerwerkskörper inzwischen zu “lebensgefährlichen Fußballkrawallen“ aufgestiegen, die Standlsprecherin beschreibt die Vorfälle nun als „Krieg“. Hält der Trend an, wird man in wenigen Jahren in der TZ vom „Völkermord der Bayern-Hooligans am Viktualienmarkt 2014“ lesen. Die Stadträte Reissl und Boesser werden dann sicher wieder tätig werden und vielleicht ein Kriegsverbrechertribunal beantragen. Damit kommen sie dann sicher auch wieder in die Presse.
Bis jetzt gab es keine seriösen Stimmen, die der Auffassung waren, die Polizei hätte die Situation beim letzten Amateurederby nicht im Griff gehabt. Trotzdem wurde der Einsatz an Polizeikräften nun im Rahmen des Maßnahmenpakets verdreifacht (!): Über 1200 Polizeibeamte werden am Montag in München im Einsatz sein.
Auf Seiten der Bayern-Amateure-Fans war man beim letzten Derby amüsiert über den betont prolligen Auftritt der blauen Gegenseite: Mit Sturmhauben 90 Minuten lang das bekannte „Red Bastards“-Banner in die Höhe halten statt das eigene Team zu unterstützen… aber jeder wie er mag. Schon im Herbst gab es den Konsens, diesmal auf der Gegengerade ein anderes Zeichen zu setzen und mit einer aufwändigen und spektakulären Choreografie an alte Derbytage anzuknüpfen. Doch dieser Plan war zum Scheitern verurteilt: Drei komplett unterschiedliche Choreografien wurden in den letzte Monaten von den Fans geplant. Nicht weil man so viel Spaß am Planungsprozess hatte, sondern weil die Vorschläge immer wieder von Polizei und Brandschutz abgelehnt wurden. Der letzte Entwurf hätte farbige Umhänge (ohne zum Vermummen verwendbare Kapuzen) vorgesehen. Diese sollten für nicht unerhebliche Mehrkosten aus Brandschutzfolie hergestellt werden, was es in der Form noch nie in einer deutschen Kurve gegeben hat. Die Fans hätten gerne von Polizei und Brandschutz eine schriftliche Begründung für die Ablehnung erhalten, aber nicht einmal dieser Wunsch wurde erfüllt.
Zumindest in einem Punkt sind sich alle einig: Die Gegenseite lässt es an Dialogbereitschaft vermissen. Zuviel Dialog ist aber auch nicht gut: Dass das Fanprojekt einen sehr engen Kontakt zu beiden Fanszenen führt macht deren Mitarbeiter aus Sicht der Sicherheitsbehörden zu einem gewissen Sicherheitsrisiko. Und deshalb darf – auch das ist eine Münchner Spezialität – das Fanprojekt an den entscheidenden Vorbesprechungen zum Münchner Derby nicht teilnehmen. Als Steuerzahler, der Fanprojekt und Polizei finanziert, kann man über so viel Kooperationsbereitschaft durchaus verzweifeln…
Die Nacht ist schwarz, die Bettlaken blau
Das „kleine Derby“ würde viele Voraussetzungen mitbringen, um ein Fußballfest zu sein: die Hermann-Gerland-Kampfbahn als grandiose Bühne, 115 Jahre Tradition und Rivalität, zwei motivierte Fanlager. Doch genauso wie die Zuschauerzahlen in den letzten Jahren in die Höhe geschnellt sind, ist das Niveau auf beiden Seiten abseits des Platzes in den Keller gegangen. Dies hat viel mit der oben beschriebenen Verbote-Spirale zu tun. Aber es gibt auch genug vor der eigenen Haustüre zu kehren.
Die Fans der Bayern Amateure können stolz auf ihr seit zwei Jahrzehnten besonders kreatives Liedgut sein. Für die regelmäßigen Besucher der Amateure ist es besonders bitter mitzuerleben, dass man sich gerade beim Derby auf das Niveau der Gegenseite herunterziehen lässt. Das Liedgut ist inzwischen größtenteils austauschbar geworden, Huresö(h)ne hier und dort, Tod und Hass von links und rechts und im Zweifelsfall noch ein ACAB oben drauf. Dem traditionsbewussten Bayern-Amateure-Fan stellt es da die Zehennägel auf und man bekommt den Eindruck, dass einen außer der Farbe des Schals nichts mehr vom Fanlager des blauen Pleitevereins unterscheidet.
Deshalb sei an dieser Stelle gerade allen jungen Fans der Bayern-Amateure für das Spiel am Montag etwas mehr Gelassenheit geraten. Natürlich rennt der blaue Anhang seit Tagen mit Schaum vor dem Mund durch die Gegend. Aber dafür haben sie allen Grund: Den eigenen Verein haben sie zu fast 2/3 an irgendeinen jordanischen Geschäftsmann verkauft, sie müssen alle zwei Wochen im Stadion des verhassten Lokalrivalen vor leeren Rängen sogenannte „Heimspiele“ veranstalten, in der eigenen Kurve stehen jede Menge rechte Dumpfbacken, die eine Hälfte der Anhänger hofft auf den Klassenerhalt und träumt irgendwann gegen den FCB in der ChampionsLeague antreten zu können, die andere Hälfte hofft auf einen Abstieg um dann ins geliebte Grünwalder Stadion zurückzukehren, denn nur dort ist der TSV der TSV, und dann würde man wieder aufsteigen, und äh… wieder in ein anderes Stadion umziehen müssen und alles würde von vorne beginnen. Und das alles haben sie sich selber eingebrockt, denn ihre Vereinsführungen der letzten Jahrzehnte haben sie sich selber fast immer mit überwältigender Mehrheit gewählt. Da ist ein Amateurederby wie eine Droge, für ein paar Tage alles vergessen und dem FCB vielleicht zumindest eine kleine Niederlage zufügen. Mitten in der Nacht vor der Bavaria stehen und sich dabei fotografieren, wie man ein paar Sekunden ein blau bemaltes Bettlaken hochhält. In der Säbener Straße eine Tapete mit „Tod und Hass dem FCB“ hinhängen. Schön dass es noch Leute gibt, die sich über so etwas freuen können!
Als Bayernfan gibt es im Gegensatz dazu jeden Grund, den Ostermontag gelassen anzugehen. Ein zünftiges Weißwurstfrühstück im Tal, ein gemütlicher Stadtspaziergang und ein hoffentlich erfolgreiches Spiel. Auf alle Fälle aber 90 Minuten Vollgas-Stimmung für die Amas, gerne auch wie früher mit kreativen Amateure-Gesängen und das peinliche Rumgepöbel dem Verein überlassen, der sich ich München auf dieses Niveau spezialisiert hat. Den überdimensionierten Polizeieinsatz sollte man nicht noch im Nachhinein durch kurzsichtige und überflüssige Aktionen rechtfertigen und auch beim Thema Pyro ist manchmal weniger mehr. Zusammengefasst: HA-HO-HE! BAYERN AMATEURE!